Eine bittersüße Liebesbeziehung


Der Wiener und der Tod, eine ganz besondere Freundschaft. Den Wienern sagt man einen besonderen Hang zur Morbidität nach und mein Großvater sagte schon immer: "Ein Toter tut dir nichts mehr!" Von der "scheenen Leich" bis zur Laufstrecke am Wiener Zentralfriedhof reicht der Bogen.

Der Tod, das muss ein Wiener sein

Böse Zungen behaupten, der Tod muss ein Wiener sein. Schon der österreichische Chansonnier und Liedermacher Georg Kreisler setzte mit dem Lied "Der Tod, das muss ein Wiener sein, genau wie die Lieb a Französin. Denn wer bringt dich pünktlich zur Himmelstür? Ja da hat nur ein Wiener das G'spür dafür", der Wiener Beziehung zum Tod ein morbid-charmantes Denkmal.

In Wien hat es den Anschein, als gehöre der Tod einfach zum Leben. Nirgends anders wird es so sichtbar, wie auf unserem Wiener Zentralfriedhof. Eine typische Wienerin eben, unsere große Begräbnisstätte in Simmering. Schon beim Entwurf einen Zentralfriedhof für alle Konfessionen zu schaffen, kam es zu heftigen politischen Diskussionen und so wurde schließlich ohne Publikum am 30.10.1874 nach römisch-katholischem Zeremoniell die Grabstätte eingeweiht. Typisch Wien halt, wir schimpfen ja vorerst über alles Neue, um es Jahre später in den Himmel zu heben.

100 Jahre später setzte Falco dem Zentralfriedhof ein weiteres Denkmal mit seinem Lied "Es lebe der Zentralfriedhof".

Am Zentralfriedhof is' Stimmung, wia's sei Lebtoch no net wor

Weu olle Tot'n feiern heite seine erscht'n hundert Johr'

Mehr als nur eine Begräbnisstätte

Der Zentralfriedhof gehört heutzutage einfach mitten ins Herz des meist etwas grantelnden Wieners. So ist auch nicht verwunderlich, dass bei neuen Ideen immer wieder die Emotionen hochkochen. Dennoch, mittlerweile haben wir eine Laufstrecke für Jogger. Eine große Wiener Konditorei hat bei Tor 2 ihre Zelte aufgeschlagen, das Bestattungsmuseum lockt mit einem Probe-Sarg-liegen, eine eigene Buslinie kurvt durch die Gräber und hin und wieder wirbeln Veranstaltungen das beschauliche Leben durcheinander. Wiener Stadtführer führen gerne die Besucher zu den berühmten Grabstätten von herausragenden Politikern, begabten Dichtern, geselligen Liedermachern, grandiosen Schauspielern und weiterer honoriger Persönlichkeiten. Fiakertouren ab Tor 2 führen durch die Anlage, vorbei an Gedenkstätten und durch alte Baumalleen.

Mehr als 3 Millionen Menschen wurden hier begraben, vom Baby bis zum über 100jährigen. Unterschiedliche Konfessionen treffen hier nun friedlich aufeinander. Seit ein paar Jahren gibt es sogar einen Waldfriedhof. Ebenso werden hier die Reste jener Menschen begraben, die ihren Tod in den Dienst der Wissenschaft gestellt haben. Und egal ob Mörder, Selbstmörder, Opfer oder Täter, in der Trauer scheinen Feind und Freund friedlich vereint.

Sehenswert ist die über alles hinausragende Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus, die neben der Otto Wagner Kirche am Steinhof der bedeutendste Kirchenbau des Jugendstils ist.

Im 'Park der Ruhe und Kraft' kann man die Sorgen und Probleme des Alltags für einige Zeit abstreifen und im Naturgarten mit Biotop die Reserven auftanken.

Neues Leben erwacht

Ich gebe zu, mich treibt es auch oft an diesen beschaulichen Ort, nicht wegen der Grabstätten, sondern aus fotografischer Sicht. Denn dort, wo menschliche Überreste die letzte Ruhe finden, entsteht permanent neues Leben. Durch die Ruhe, die Vielfältigkeit und inmitten des geschützten Raumes findet man eine Unzahl von Wildtieren und Pflanzen. Die Palette reicht vom Reh über den Hasen, den Igel, diverse Greifvögel, unterschiedliche Insekten, Amphibien bis zu putzigen Eichhörnchen. Mit viel Glück und Geduld kann man auch Fasane, Dachse, Füchse und europäische Feldhamster beobachten.

Wien, 10.10.2020


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Fotos von Fotografin Renate

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