Zauberblickrunde und der 20-Schilling-Blick
Semmering, Industrieviertel, Niederösterreich
Seit Tagen ist es in Wien grau in grau. Und heute auch noch richtig nass. Wir beschließen, wir fahren jetzt solange durch Österreich, bis wir die Sonne finden. Knapp eine Autostunde später haben wir zwar die Sonne erst in Bruchstücken gefunden, dafür befinden wir uns in einer absoluten Traumwelt. Im weißen Reich der Zauberer und Feen.
Der heftige Wind treibt die Nebelschwaden wie Wattefetzen über die Landschaft. Die eisige Winterszenerie fängt bereits zum Bröckeln an. Kleine und größere Eisbrocken werfen die Bäume ab, während wir uns auf dem Weg machen.
Ab der Passhöhe am Semmering gibt es eine Unzahl an Wanderwegen. Wer uns kennt, weiß, dass wir ohne technischen Firlefanz unterwegs sind. Wir möchten uns mit der Natur verbünden, in sie eintauchen und kein Computerspiel über sie schreiben. Wie kann man sich in der frischen Luft erholen, neue Kraft tanken, wenn man den Blick starr auf sein Handy richtet? Aber jeder wie er möchte. Wir sind als Großstädter an solche Bilder bereits gewöhnt und können solchen Wanderern geschickt ausweichen. Irgendeinen Vorteil muss das Leben in der hektischen Stadt auch haben.
Nun, wie gesagt, wir orientieren uns lieber an den, von fleißigen Menschen, aufgestellten Taferln. Wobei wir ehrlich sagen müssen, dass wir uns eigentlich auf einen Tut-gut-Wanderweg aus einem dicken Ratgeber konzentrieren wollten, dieser jedoch bei der Markierung irgendwo abhandengekommen ist. Lediglich einmal sehen wir einen kleinen Hinweis.
Der 20-Schilling-Blick ist unser Ziel
Daher entschließen wir uns einen Teil Bahnwanderweg mit einem Teil Wiener Alpen zu vereinen und uns auf unser Wunschziel, dem 20-Schillig-Blick zu konzentrieren. Tja, der Schilling, die Vorgängerwährung des Euros. Damals waren 20-Schilling echt noch viel wert und man bekam...
Aber lassen wir das, wir leben jetzt im Euroland und im Jahr 2020. Bei unserer Wanderung passieren wir das sagenumwobene und mittlerweile teilweise verfallene, aber noch immer unglaublich imposante Südbahnhotel. Mich fasziniert dieses, 1882 errichtete Gebäude immer wieder. Wie gerne würde ich einmal durch die, wahrscheinlich, leeren Räume schlendern und den alten Geschichten lauschen? Was sich hier alles zugetragen haben muss. Unfassbar schön schmiegt es sich in die Bergwelt. Mit Holzbalkonen, die bis dato erhalten sind. Ob sie auch heute noch Menschen tragen würden?
Weder wir, noch die anderen, wissen wo wir sind
Wir streifen, soweit wir dürfen, durch das Gelände. Tja, weit kommen wir ohnehin nicht, aber es reicht, dass wir mal wieder nicht wissen, wo wir sind und in welcher Richtung unser Ziel liegt. Was mich fasziniert sind die Wanderer, die wir um Hilfe fragen. Den berühmten 20-Schilling-Blick? Viele schauen uns fragend an. Keine Ahnung. Bitte, wo gehen die spazieren? Oder wo sind wir jetzt? Müssen wir Panik schieben? Oder sind viele Wanderer einfach nur so unterwegs? Nach dem Motto, weiter, schneller, höher. Um dann auf den sozialen Medien die Tagesleistung zur Schau zu stellen und Schulterklopfen zu erhaschen. Erst ein junger Bursch gibt uns höflich und kompetent Auskunft. Oh Wunder, wir sind nicht mal 1000 m davon entfernt!
Und dann stehen wir da! Beide aus den Schilling-Jahren kommend, damals als der braune Schein wohl am meisten in unseren Geldtaschen sich befand. Traumhaft schön. Vor allem, weil sich mittlerweile die Sonne ihren Weg gebahnt hat und uns, einen fast Postkarten kitschigen Himmel bietet. Wirklich so schön! Und unten im Tal ist noch immer dichter Nebel.
Entlang des Weltkulturerbes Semmeringbahn
Wir entschließen uns weiter den Weg Richtung Bahnhof Semmering zu erwandern. Angenehm zu gehen, obwohl wahnsinnig viele Menschen unterwegs sind. Einige grüßen, einige granteln, die meisten rennen wie um ihr Leben. Schön aber, dass viele mit kleinen Kindern unterwegs sind.
Am Bahnhof angekommen, hier kommen übrigens auch die Züge aus Wien an, also steht einer Bahnanreise nichts im Wege, gibt es zwei Wege zur Passhöhe. Wir entschließen uns über die kleine Pfarrkirche "Zur Heiligen Familie" aus dem Jahre 1896, Richtung dem berühmten Hotel Panhans zu gehen. Noch Kerzen in der Kapelle anzünden und dann nur noch bergab bis zum Auto rollen.
Geschafft. Keine Ahnung, aber schätzungsweise waren es an die 8 KM. Auf alle Fälle waren wir 3 ½ Stunden gemütlich unterwegs. Rauf und runter - Höhenmeter? Keine Ahnung, für uns machbar und das macht uns stolz. Die genauen Angaben finden sich ohnehin im Internet bei diversen Wanderplattformen. Einfach mal googeln und für sich die beste Route aussuchen. Auswahl gibt es genug. Nur wie schon erwähnt, bitte Vorsicht bei der Tut-Gut-Markierung.
Unsere allgemeinen Wandertipps: Großstadtwanderer
Fotos von Fotografin Renate