Grenzerfahrung
Stadlberg - Pohori na Sumavè (Buchers), Waldviertel, Niederösterreich
Heute verlassen wir die vielbefahrene Böhmerwaldbundesstraße zwischen Sandl und Karlstift und folgen den Hinweisschildern "Stadlberg/Staatsgrenze" sowie "Bucherser Kapelle "Maria vom Guten Rat".
Für einige Zeit glaube ich nicht mehr richtig zu sein, wir fahren in eine Sackgasse, mitten im Wald und auf schlechter Straße. Doch dann passieren wir ein großes Tiergehege und stehen vor einem wunderschön gepflegten Fleckchen Erde. Die kleine Kapelle, der frisch gemähte Rasen, der herrliche Blumenschmuck. Liebevoll gepflegt. Ich will diesen Ort mit unserem Auto (obwohl im Zeitungsbericht steht, parken am Straßenrand) gar nicht verstellen und so fahre ich einfach aus Österreich hinaus.
Heute zeigen dem Besucher nur noch vor sich hinvegetierende Schilder in welchem Staat er sich befindet. In den 40er Jahren war es hier anders, als die Vertreibung der Deutschen durch die Tschechen betrieben wurde. Daraufhin wurden Slowaken in Buchers angesiedelt und der Ort zum großen Teil abgerissen. 1955 kam es zur völligen Isolation, der Ort wurde geräumt und 1978 die noch vorhandenen Häuser durch die Armee zerstört.
Aber kommen wir ins Jahr 2022 zurück, wir sind nach dem Grenzübertritt einer Schotterstraße bis zum Ort gefolgt, haben rechts einen öffentlichen Parkplatz (hier standen bereits österreichische Autos) gefunden und sind zu Fuß der Schotterstraße bis zur Bucherser Kapelle und somit zurück nach Österreich gefolgt.
Wir halten inne bei diesem entzückenden, geschichtsträchtigen und tränendurchtränkten Ort, der vom Bucherser Heimat Verein liebevoll am Leben erhalten wird. Im Inneren erzählen Fotobücher von damals. Kaum vorstellbar für uns als "junge Menschen", so ein Schicksal zu erleiden. Kaum vorstellbar, am Stacheldraht zu stehen und auf seine alte Heimat blicken zu müssen. Von heute auf Morgen aus der Geborgenheit, der Gemeinsamkeit, der Realität brutalst geworfen zu werden.
Schweigend ziehen wir weiter und folgen dem Holzschild "zur Dreiländersäule". Richtig beschilderter und ausgewiesener Rundweg ist es heute keiner, eher eine Verknüpfung unterschiedlicher Wege. Ein Stück verläuft der Weg am Nordwaldkammweg 105, passiert das Antoniusbründl, führt zwischen den Staaten hindurch. Erkennbar rechts am Grenzstein mit Ö und links mit C. Wir kommen an einem Wildgehege, einer Huskyfarm und verlassenen Grenzhütterl (heute Wandererunterschlupf) vorbei. Durchstreifen kniehohes Gras und erreichen alsbald die Grenzsäule mit den Länderwappen von Nö, Oö und Böhmen. Wir sind auf 930 m Seehöhe. Bis hierher war der Weg relativ angenehm zu gehen.
Hier fließt der Bucherserbach. Eigentlich würde nun der Weg nach links auf den Kamenec (Steinberg, 1.072m) führen, doch mein "Chef" entscheidet sich für rechts. Da kommen wir zurück nach Buchers. Naja, wenn er meint.
Ich muss ehrlich zugeben, Markierung sucht man hier vergeblich und ob wir nun richtig sind, oder nicht, haben wir keine Ahnung. Wer uns kennt, weiß, dass wir ständig ohne technischen Firlefanz unterwegs sind und meine, aus dem Internet ausgedruckte, kleine und mickrige Übersichtskarte kennt unsere Route auch nicht. Dann hoffen wir mal und genießen inzwischen die herrliche Natur. Zum Glück wurde die Region früh zum Schutzgebiet erklärt und so tummeln sich hier unzählige Lebewesen.
Mich faszinieren die saftigen Wiesen und stattlichen Bäume, die soviel zu erzählen hätten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und des Nicht-Wissens, ob wir richtig sind, sehen wir wieder die grüne Markierung, der wir anfangs vom Parkplatz zur Kapelle schon gefolgt sind. Wir könnten doch auf der richtigen Spur sein.
Triumphierend hält "Chef" plötzlich an - "dort rechts drüben ist der Neubau, daneben der Parkplatz, wir sind richtig." Glück gehabt!
Meine Wanderlaune steigt bis zu jenem Moment, als wir in Buchers ankommen und vor den Ruinen der Wallfahrtskirche "Maria vom guten Rat" stehen. Geschichte, die unter die Haut geht. Stillschweigend betreten wir die Kirche, bzw. die Reste, die noch da sind. Im Inneren liegen weitere Zeitzeugen auf. Uns geht es wahrhaft an die Nieren, wie grausam die Menschheit doch sein kann, wie viele Schicksale es gab und heute noch gibt. Am Gedenkstein für die Gefallenen im 1. Weltkrieg steht "NIE WIEDER KRIEG". Ich denke, ich brauche nicht zu erwähnen, dass das wohl ein frommer Wunsch ist.
Betreten steuern wir das Ende unserer Runde an. Jedoch dankbar zu gleich. Dankbar den Mitgliedern des Buchersers Heimat Vereins, die so ein Stück Geschichte mit unendlich viel Liebe und Kraft am Leben erhalten.
Strecke lt. Internetangabe: rund 10 Km
Höhenmeter lt. Internetangabe: gute Frage, habe nichts gefunden, aber viele HM waren es nicht wirklich
Start und Ziel: Bei der Gedenkkapelle Buchers oder wer, wie wir einfach weiter über die Grenze nach Tschechien fährt, findet gleich in der Ortschaft Pohori na Sumave (Buchers) rechts einen Parkplatz. Bei unserem Besuch kostenlos. Öffentliche Anreisemöglichkeit wäre uns nicht aufgefallen.
Unsere Dauer inkl. Fotos und einer Wanderpause: 3 ½ Stunden
Wichtiges: Großstadtwanderer, Reisepass nicht vergessen
Zusätzliche Hinweise aus unserer Sicht: Also sagen wir so, die gesamte Runde ist nicht als ein durchgehender Rundweg beschildert. Ich hatte meine Infos aus einer Zeitung - war aber lediglich ein kleiner Bericht über die Geschichte mit einer Route, die der Reporter gegangen war. Unsere Route hast du gerade im Bericht gelesen. Verpflegung bei Bedarf mitnehmen, einige Rastmöglichkeiten gefunden.
Unsere allgemeinen Wandertipps: Großstadtwanderer
Fotos von Fotografin Renate
Transparenz - Verlinkung Heimatverein als Anerkennung für diese freiwillige Arbeit kostenlos.
Wien, 14.07.2022