Im römischen Reich
Carnuntum, Industrieviertel, Niederösterreich
Marc Aurel scheint fad zu sein. Er grüßt uns bereits von weitem. Der Parkplatz wirkt verlassen, zwei Autos teilen sich die unendlichen Stellflächen.
Nun, es ist Krampustag. Die Römerstadt Carnuntum, die einst 50.000 Einwohner beherbergte und damals die Hauptstadt Oberpannoniens war, liegt einsam vor uns. Der Eingang zum Besucherbereich ist seit Anfang November geschlossen.
Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich mit Reisegruppen hier zu Gast war. Gerne erinnere ich mich an die persönliche Einladung in einer Pompa, dem großen Festzug, in original römischer Gewandung in die Arena miteinzuziehen.
Wenn ich meine Blicke so über die bereits rekonstruierten Gebäude schweifen lasse, fehlt mir etwas und ich werde nachdenklich. Mir fehlen die unzähligen Gäste, die sich hier normalerweise tummeln, über römische Geschichte lernen und über alte Steine klettern, in heiße Thermen, das Haus des Lucius und die Villa Urbana Blicke werfen. Mir fehlen das Kinderlachen, die fragenden Blicke und die Begeisterungsrufe bei den unzähligen Veranstaltungen. Mir fehlt es nicht nur heute. Mir fehlt es rückblickend auf das Jahr 2020, dem Jahr, das Corona fest im Griff hat und somit auch hier viele Sperrtage angesagt waren.
Aber kommen wir zu uns zurück. Wir sind heute gekommen, um die Umgebung zu erkunden. Wir möchten einen der römischen Spaziergänge absolvieren, Spaß haben und frische Luft tanken. Und natürlich auch dem berühmten Heidentor, das geheimnisvoll und imposant in die Landschaft ragt, einen Besuch abzustatten.
Das Heidentor ist eines der bekanntesten Monumente am pannonischen Limes und Symbol des römischen Österreich.
Dann werfen wir unsere Pläne spontan über den Haufen
Im Internet und am Parkplatz finden sich Routenvorschläge. Spontan entscheiden wir aber, diesmal keiner besonderen Spur zu folgen, sondern einfach durch die Gegend zu streunen. Wir atmen römische Vergangenheit, diskutieren über die verlassene Palastruine.
Wir beobachten Greifvögel, wie sie ihre Runden hoch in den Wolken ziehen und rasant zur Erde stechen. Wir hören das Rufen des Spechts und lauschen den Geschichten der uralten Baumriesen.
Wir finden eine Zille im Wald und stoßen auf ein Marienmarterl.
Leise murmelt ein kleiner Bach geheimnisvolle Erzählungen in das braune Laub in seinem Bett.
Wir genießen den Wind im Haar und staunen über die herrlichen Landschaftsbilder, die uns der Föhn heute darbietet.
Wir stolpern über die alte Römische Bernsteinstraße und versinken im Gatsch. Es ist einfach herrlich. Wir finden den Schlossteich, der im heutigen Zwielicht einen gespenstischen Zug an sich hat. Welche Geschichten könnte er uns erzählen?
Der Wind spielt mit den letzten Blättern. Ein Baum knarrt und beugt sein Haupt. Im Gestrüpp raschelt es. Wir können abschalten, loslassen, träumen. Höre ich schon Reiter der Legion herantraben? Huscht dort das Schlossgespenst des mächtig in der Landschaft sich erstreckenden Schloss Petronell über das kahle Feld?
Höre ich Marc Aurel in mein Ohr flüstern? Erzählt er mir Geschichten von damals?
Unser Ausflug, immerhin knapp drei Stunden, war richtig entspannend, einfach runter kommen, abtauchen in über 1.700 Jahren Zeitgeschichte, den Wind im Haar spüren, die Gerüche der Natur aufsaugen. Den Kopf frei bekommen, abschalten und mit neuer Energie nachhause fahren.
Unsere allgemeinen Wandertipps: Großstadtwanderer
Fotos von Fotografin Renate
Wien, 05.12.2020